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Stephan Geisler

Eine Klamotte

Das Thema

Mir gefällt das Wort „Klamotte“ so! Klamotten als Umschreibung für Kleidungsstücke hat dann doch etwas sehr Umgangssprachliches. Im Singular bekommt das Wort plötzlich etwas Altes. Dieses Wort im Singular benutzt heute kaum noch jemand. Im Singular kommt eine andere Bedeutung des Wortes auch eher in den Sinn, die Klamotte als Theaterstück oder derben Schwank! „Väter der Klamotten“. – Eine Kindheitserinnerung aus den Urstunden des Fernsehens.

In dieser Übung geht es aber tatsächlich einfach um ein einziges Kleidungsstück. Und wieder gilt es die Frage zu stellen, was hat uns Zeichnern ein einzelnes Kleidungsstück überhaupt zu bieten???

Das Interessante ist, das sich die Form eines Kleidungsstückes erst durch den Menschen ergibt, der es trägt. Auf einem Bügel aufgehangen kommen wir dieser Form zwar nahe, aber je nach Kleidungsstück auch nur bedingt. Legen wir das Kleidungsstück irgendwohin, vielleicht sogar unordentlich irgendwo hingeschmissen, so entwickelt dieses Kleidungsstück eine sehr eigene Form, die mit der in unseren Köpfen abgespeicherten nichts mehr zu tun hat.

Realität und Technik

Und hier kommen wir zum Reiz der heutigen Aufgabe. Wir nehmen das Kleidungsstück aus der abgespeicherten Form heraus und müssen es neu entdecken. Wo finden wir Details als Hinweis auf das Kleidungsstück, wie z.B. die Knöpfe und der Reißverschluss und die Taschen bei einer Jeanshose? Was haben wir für einen Stoff? Verschiedene Stoffe bilden verschiedene Formen von Falten? Gibt es besondere Details wie Paletten oder Nieten oder …?

Und dann stellt sich die Frage, wie drapiere ich das Kleidungsstück. Denn hier lege ich ganz deutlich fest, inwiefern erkennbare Segmente präsent sind oder ich sie sogar bewusst verstecke. Dahinter verbirgt sich die Frage, wie erkennbar möchte ich den Gegenstand erscheinen lassen oder wie sehr verberge ich seine Bedeutung?

Diese Fragen kannst Du dann weiterdiskutieren, während Du zeichnest. Denn auch wenn ein nachvollziehbares Detail sehr prominent zu sehen ist, obliegt es Dir, wie stark Du es letztlich herausarbeitest.

Das Kleidungsstück soll allerdings ohne jeden Randkontakt dargestellt werden. Es soll als Objekt erkennbar sein. Dieser Aspekt soll keine Verfremdung beinhalten.

Du siehst die Frage nach der Realität und eine sehr feine Ausbalancierung derselben steht heute in jeder Phase dieser Übung im Vordergrund. Viel Spaß dabei!

Die Übung

Da es heute nicht darum geht, den Rand in irgendeiner Form miteinzubeziehen, nimm gerne ein großes Blatt. Wenn Du mehr Platz hast, kannst Du die Realität besser aussteuern ….

Schritt 1

Drapieren

Suche Dir ein Kleidungsstück sehr bewusst aus. Drapiere es versuchsweise, schaue wie es fällt, gibt es wiedererkennbare Details? Probiere weitere Kleidungsstücke aus, um Dich in das Thema hineinzufinden. Wenn Du Dich im Vorfeld bereits ausführlich mit dem Thema auseinandersetzt, kannst Du es während des Zeichnens viel bewusster steuern.

Hast Du Dich entschieden, drapiere es und stelle dabei dieselben Überlegungen. Wie möchtest Du die Nuance der erkennbaren Realität aussteuern?

Schritt 2

Skizzieren ohne Rand

Starte mit der üblichen Skizze, leichte wenig erkennbare Linien, verschaffe Dir einen Überblick über Dein Objekt, plaziere es und gehe schon auch etwas ins Detail. Die Linien sollten bei all dem allerdings leicht bleiben.

Schritt 3

Eine helle Lasur

Mische Dir eine helle Lasur, gräulich, mit Wasser und einer Spur schwarzer Tusche und setze die helle Lasur unter zwei verschiedenen Aspekten ein.

  • Zum einen geht es um die grobe Licht-Schattensituation. Den insgesamt dunkleren Bereich lasiere, den insgesamt helleren Bereich lasse frei.

  • Des Weiteren versuche hell und dunkel auch bereits im Detail herauszustellen, wie z.B. bei Stofffalten. Gerade bei diesem Punkt verwende einen feinen Tusch- oder Aquarellpinsel.

Schritt 4

2-3x Farbstift

Wenn Schritt 3 getrocknet ist wählst Du drei Farbstifte einer Farbfamilie (z.B. 3x Grün oder 3x Blau oder 3x Grau etc.) und modellierst damit den für Dich wichtigen Bereich plus zwei zusätzliche kleinere Korrespondenzpunkte. An den Stellen, an denen Du mit den Stiften arbeitest, schraffiere zu maximal 40%. Achte darauf, dass die Farbstifte immer gut angespitzt sind!

Schritt 5

Bleistiftschraffuren

Nun setze auf 70-80% Deiner Zeichnung Schraffuren mit dem Bleistift, tendenziell nichts Dunkles und Dichtes, sondern eher leichte Schraffuren, um Dein Objekt an vielen Stellen plastisch anzudeuten.

Schritt 6

Geniale Linien

Nun benötigen wir zur linearen Überarbeitung Deiner bisherigen Zeichnung so richtig geniale Linien. Es geht tendenziell um Konturen, wesentlich genauer als in der Anfangsskizze und trotzdem den Fokus gelegt auf die Qualität der Linie durch Variation in dick und dünn, schnell und langsam, akzentuiert und sachlich. Arbeite mit einem mittelweichen Bleistift, oder, wenn Du Dich traust und einen wirklich guten und spitzen Farbstift hast, auch gerne mit rot.

Schritt 7

Schwerpunkte mit Bleistift

Nun gilt es, die bereits vorher mit den Farbstiften gesetzten Schwerpunkte und Korrespondenzpunkte mit dem Bleistift weiter auszubauen, mehr Detail, mehr Schichten, mehr Schraffur, mehr Kontrast, also mehr von allem, so dass diese Bereiche ihrer Rolle gerecht werden können.

Schritt 8

Schwärzen mit dem Bleistift

Die Schwärzen kommen dieses Mal kurz vor Toresschluss, aber mit zwei unterschiedlichen Ambitionen. Zum einen sollen Schwärzen realitätsbezogen und klar gesetzt werden. Zum anderen sollen sie an den Stellen, die realistischerweise keine so große Bedeutung haben, lebhaft und gestisch eingesetzt werden – immer im angemessenen Rahmen – um der gezeichneten Realität etwas Wildes und Freies entgegenzusetzen.

Schritt 9

Eine dunkle Lasur

Der letzte Schritt ist eine eher dunkle Lasur. Es soll im Grunde genommen genau das gleiche gemacht werden, wie schon vorher bei der hellen Lasur, allerdings nur an wenigen Stellen, da wo es kompositorisch für die Arbeit wichtig erscheint. Ggf. denke vorher etwas darüber nach, wo Du sie einsetzen könntest, weil die Zeichnung jetzt beendet werden soll.

Reflektionen

Du merkst bei all diesen Aufgaben, dass es in jedem Schritt wichtig ist, zu überlegen, WIEVIEL man jeweils arbeitet. Wenn es eher wenig ist, bekommt eine Zeichnung selten „Futter“, wenn Du immer ungestüm viel machst, schießt Du schnell über das Ziel hinaus. In jedem Schritt die richtige Balance zu finden, ist wirklich anspruchsvoll. Es geht uns schließlich nicht einfach nur um pragmatische Abbildung, sondern wir wollen spannungsreiche Blätter erarbeiten. Aber schau Dir Dein Ergebnis mal in Ruhe an und versuche die nachfolgenden Fragen als Anlass zu verstehen, den Prozess noch einmal zu rekapitulieren.

  1. Hat sich die Wahl Deines Kleidungsstückes und die Art es zu drapieren bewährt? Was hättest Du im Rückblick doch lieber anders gemacht? Vielleicht ein anderes Kleidungsstück? Mehr oder weniger realistische Hinweise?

  2. Wie realistisch ist Deine Zeichnung letztendlich geworden, sowohl bezogen auf die Erkennbarkeit der Realität aber auch bezogen auf Dein Grad der Umsetzung in der Zeichnung selbst? Hattest Du beim Zeichnen das Gefühl, tatsächlich immer wieder fein an den realistischen Stellschrauben zu drehen oder war das Ergebnis am Ende Zufall?

  3. Was für Gegenstände oder Gegenstandsansammlungen fallen Dir noch ein, mit denen man unter ähnlichen Aspekten arbeiten könnte? Any idea?

Genieße die Woche und freue Dich auf die nächste Aufgabe.

Ganz herzliche Grüße – Stephan