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Stephan Geisler

fesselspiele

das thema + die installation

Inzwischen gebe ich seit Jahren Zeichenseminare und stelle immer wieder fest, wenn Objekte, die zum Zeichnen auserkoren sind, die Sehgewohnheiten sprengen und in irgendeiner Weise ungewöhnlich im Sinne von „noch nie gesehen“ sind, beinhalten sie für den Zeichner eine neue, eine frische Inspiration.

Und diese frische Inspiration gilt es immer wieder zu suchen, zu überlegen, zu formen. Dieses Neue können wir auch selbst schaffen. Und wenn wir etwas Neues, Selbstgeschaffenes anschließend zeichnen, so haben wir uns mit dieser Installation während des Machens bereits emotional verknüpft. Auch darin liegt eine Inspiration!

Deshalb werden wir heute vor dem Zeichnen „installieren“, wir werden das Objekt unserer Begierde selbst schaffen, schöpfen, erfinden und kreieren. Und dazu brauchen wir als erstes einen besonderen Gegenstand. Wir brauchen einen Gegenstand, der besonders ist und in Deinen Augen zeichenwürdig. Du musst Lust haben, diesen Gegenstand zu zeichnen. Er braucht Details und Strukturen, die man zeichnen kann. Und das kann erstmal alles sein. Suche Dir 3-4 Gegenstände aus und wäge dann noch einmal ab, welches der „Richtige“ sein könnte, immer mit den Augen des Zeichners betrachtet.

Nun gilt es, den Gegenstand an sich bereits zu verfremden, indem er mit Seilen und Schnüren und Wolle umwickelt und endlos verknotet wird. Auch hier geht es beim Umwickeln und Verknoten eher um einen künstlerischen Akt, als um eine pragmatische Handlung. Dein künstlerisches Auge auf der Suche nach Ungewöhnlichem ist gefragt.

Verwende verschiedene Dicken von Schnüren, mach viele Mehrfachknoten, nimm Dir bereits hier sehr viel Zeit und lebe Dich künstlerisch aus.

das zeichnerische ziel

Was ist dabei das zeichnerische Ziel?

Das erste zeichnerische Ziel ist die Balance zwischen zwei Extremen. Auf der einen Seite fügen wir unterschiedliche Ebenen zusammen zu einem Gegenstand. Wir wollen also den Eindruck eines Gegenstands erwecken. Wir wollen aber auch beide Anteile separat deutlich machen, den Gegenstand an sich und auch die Seile und Schnüre u.a. dadurch, dass die letzteren neben dem Bleistift auch mit Farbe umgesetzt werden sollen.

Des Weiteren geht es um ein eindrucksvolles Wertegefüge, also die Verteilung von Schwerpunkten und Korrespondenzpunkten, die Verteilung von unbehandelten und dichten Blattpartien, die Verteilung von Farbe und Nichtfarbe usw. Ähnlich wie bei den Lilien soll es nicht den einen Hauptschwerpunkt geben, sondern viele Größere und Kleinere.

die übung

Das Blatt sollte sicherlich nicht zu klein sein, mindestens DinA3. Wir brauchen schon auch etwas Platz, wenn es auch mal detaillierter werden soll. Wie schon oft erläutert, kannst Du ein glattes geleimtes Papier in der Regel differenzierter einsetzen als ein raues. Mein liebstes Papier – zwar eigentlich ein Aquarellpapier – ist das 300g satinè von Arches oder das Pendant von Fabriano.

Und los geht’s!

schritt 1

installation

Der erste Schritt ist natürlich die Installation selbst. Ich benenne ihn hier noch einmal separat, um die Bedeutung dieses Schrittes herauszustellen. Hier legst Du die Basis für die Qualität deiner Arbeit.

schritt 2

fotos zur ideensuche

Der zweite Schritt ist auch erstmal keiner, der direkt auf Deinem Papier stattfindet. Ich werde nicht müde auf die heutigen wunderbaren technischen Hilfsmittel aufmerksam zu machen, die wir haben. Mit der Kamera Deines Handies mach gut 30 Fotos von Deinem Objekt. Dabei geht es gar nicht so sehr um den Hintergrund. Den wollen wir eh nicht zeichnen. Es geht mehr um verschiedene An- und Ausschnitte, verschiedene Blickwinkel und vor allem verschiedene Beleuchtungssituationen. Entscheide Dich, welche Situation Dir am besten gefällt und zeichne diese dann aber direkt vom Objekt und nicht vom Foto. Die Fotos sollen Dir nur die vielen Möglichkeiten vor Augen führen und Dir bei der Ideensuche helfen. Wir neigen dazu, immer gleich und auch mittig anzufangen, wenn es sich nur um EIN Objekt handelt. So ein vorgelagerter Arbeitsschritt führt uns viele weitere Möglichkeiten vor Augen!

schritt 3

entscheidung und skizze

Entscheide Dich für eine Deiner fotografierten Ideen und fertige eine erste Skizze an, natürlich die Platzierung und Deine Bildidee berücksichtigend, aber auch schon mit den richtigen Proportionen, Details und ersten Schraffuren.

schritt 4

schwärzen

Setze schon jetzt alle Dunkelheiten, die Du entdeckst, sehr schwarz mit einem weichen Bleistift um. Versuche dabei aber folgenden Punkt etwas differenzierter zu betrachten:

An den Stellen, wo Dir eine exaktere Realität etwas wichtiger ist, arbeite entsprechend realistisch. Da wo es Dir nicht so wichtig ist, werde gerne wild und frei und gestisch.

Auch so unterschiedliche Arten, die Realität zu betrachten, sind Möglichkeiten, ein kompositorisches Wertegefüge aufzubauen.

schritt 5

details und schraffuren

Nun arbeite überall ein wenig mit Schraffuren, werde an einigen Stellen noch etwas detaillierter, aber schaffe noch keine extremen Dichten, das kommt später.

schritt 6

wertegefüge

Der sechste Schritt ist ein rein theoretischer. Überlege Dir einfach, welche Bereiche sich als Schwerpunkt eignen, groß oder klein, und lege Dich in diesem Schritt tatsächlich auch fest!

schritt 7

winziger und großer Schwerpunkt 1

Schritt 7 widmet sich einzig den Seilen. Schaffe in Deinen Seilgefügen mit Farbstiften und Bleistiften jeweils einen größeren Schwerpunkt und ebenso an anderen Stellen in den Seilen 2 kleine Schwerpunkte.

schritt 8

winziger und großer Schwerpunkt 2

Nun geht es entsprechend um einen großen und 2 kleine Schwerpunkte im Hauptgegenstand ohne die Seile mit einzubeziehen, hier allerdings ausschließlich mit Bleistiften. Schaffe in den Schwerpunkten unbedingt auch eine gute Bilddichte.

schritt 9

schlagschatten

Setze einen Schlagschatten auf den Untergrund, gerne auch von Dir erfunden. Umrande diesen Schlagschatten ganz exakt mit einem H-Bleistift und fülle diesen Schatten ganz ganz exakt und plakativ mit einer einzigen Farbe aus. Stimme diese Farbe mit den Farben der Seile ab. Du kannst natürlich auch ganz frech eine ganz andere Farbe nehmen. Das würde auch noch unter „abstimmen“ fallen. „Abstimmen“ bedeutet einfach eine bewusste Auseinandersetzung mit der Farbe.

schritt 10

nachlese

versuche in diesem Schritt zu überlegen, wo Dir noch Kleinigkeiten fehlen und setze diese noch um. Allerdings geht es ausnahmsweise tatsächlich nur um Kleinigkeiten, um die Balance des Bildes auf den Punkt zu bringen.

die reflektionsfragen

Zum Abschluss, wie gewohnt, kommen noch die Abschlussfragen.

  1. Wie ist Dir deine Installation gelungen? Die Reale, nicht die Gezeichnete? Hat sich Deine Erwartung, es könne sich um ein spannendes Zeichenobjekt handeln, bewahrheitet? Oder eher nicht? Wie würdest Du Deine Antwort begründen?

  2. Würdest Du sagen, Deine Umsetzung der Aufgabenstellung ist gelungen? Was findest Du im Einzelnen alles gut an Deiner Zeichnung? Gibt es Dinge, die Du bei einem weiteren Durchgang oder auch mit einem anderen Gegenstand anders machen würdest?

  3. Wie bist Du mit dem Material klargekommen? Hättest Du lieber Materialien genommen, die sich mehr voneinander entscheiden und einen krasseren Unterschied zwischen Gegenstand und Seile hervorgerufen hätten?

Genieße die Woche, lass Dich inspirieren und sei ständig auf der Suche nach der Muse.

Ganz herzliche Grüße – Stephan