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Stephan Geisler

Face To face

Das Thema

Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie sehr die meisten Zeichner doch das Portrait lieben, das Portrait, der Kopf, den Menschen. Vielleicht ist es ein bisschen die Auseinandersetzung mit dem Menschsein an sich oder es ist eine Auseinandersetzung mit den Menschen, die uns faszinieren, in die wir verliebt sind oder in ihre Emotionalität oder eine Emotionalität an sich! Manchmal ist es die Physiognomie oder die Begeisterung für ein gelebtes Gesicht. Aber es bleibt immer ein bisschen auch die Auseinandersetzung mit uns selbst.

4 Portraits sollen die Grundlage für die heutige Übung sein. Und hier kommen Sie, 4 Portraits von sehr unterschiedlichen Typen junger Männer. Für die Übung such Dir einen Kopf aus, aber selbstredend kannst Du Dich auch um alle vier kümmern. Viel Spaß dabei

4 Fotos

Zuallererst eine wichtige Bitte! Alle Fotos, die als Vorlage in diesen Übungen auftauchen, möchte ich Dich bitten, auch nur im Rahmen dieser Übung zu verwenden, nicht für andere Projekt oder womöglich für Veröffentlichungen jedweder Art! Dafür vielen Dank!

Wie entscheidest Du Dich nun? Wen möchtest Du zeichnen?

Es gibt bei der Auswahl unterschiedliche Kriterien. Zuerst geht es sicher um Sympathie oder Muse oder auch das Fasziniertsein von einem Blick oder einem realistischen Element, wie der Reiz einer Profillinie im ersten Foto, das überbordende Lachen und damit der Mund und die Zähne auf dem zweiten Foto, diese unglaublichen Haare auf dem dritten Foto oder auch die eigenwillige Lichtsituation und das Zusammenlaufen der Schatten und dunklen Flächen auf dem vierten Foto.

Und damit kommen wir auch schon zum nächsten Kriterium. Es geht nicht immer nur ums Abzeichnen, auch wenn das für die meisten die erst einmal ausschlaggebende Motivation ist. Oft schauen wir unsere Vorlage an und entdecken eine Idee für ein Bild. Bleiben wir beim vierten Foto. Schau Dir diese ganzen dunklen Flächen an. Nun stell Dir vor, Du machst eine weitestgehend differenzierte Zeichnung von dem Gesicht und alle Dunkelheiten sind einfach nur plakativ Schwarz, mit dem Bleistift schraffiert, oder mit schwarzglänzender Lackfarbe überzogen oder …. Die ganzen schwarzen Bereiche sind gar nicht schwarz, sondern Du zeichnest sie rot, knallrot glänzend! …

Du siehst, ein einziger Aspekt, der Dir bei einem Portrait auffällt, kann Dich immer weiter tragen und zu neuen Ideen führen. Wichtig ist, dass man nicht immer überstürzt anfängt zu zeichnen, sondern sich seinem Objekt annähert, es erstmal betrachtet, schaut, was einem auffällt. Dieser erste Kontakt ist letztendlich bereits eine später in der Zeichnung sichtbare Qualität und er gehört unbedingt zum Zeichenprozess dazu!

Vorgehensweise

Wie fängt man ein Gesicht, einen Kopf an? Das ist eine Frage, die mir immer wieder in Seminaren gestellt wird. Es gibt keine Regel, die einen fangen bei den Augen an, die nächsten beim Mund, wieder andere mit einer Orientierungsskizze usw.

Wichtig ist vielmehr die Frage, wie kann ich mich beim Zeichnen immer mehr den Proportionen annähern. Natürlich werden alle eine Zeit brauchen, um die Physiognomie eines Menschen perfekt zu beherrschen, aber von Anfang an sollte man verstehen, wie man beim Zeichnen schaut.

Wichtig ist, dass man beim Schauen nicht nur an einer Stelle bleibt, sondern bereits beim Schauen Bezüge zieht, z.B. wenn Du bei einem beliebigen Gesicht die Mundlinie ziehst, schaue mal, ob sie sich auf der richtigen Höhe zu den Ohransätzen rechts und links befinden? Ziehe die Mundlinie nach rechts und kontrolliere beim Original den Bezug zum Auge , indem Du in Gedanken vom äußersten rechten Mundwinkel eine Senkrechte nach oben ziehst und einfach mal schaust, an welcher Stelle Du auf das Auge triffst. Das sollte auf Deiner Zeichnung genauso sein.

Umso eher Du Dir angewöhnst beim Betrachten Deines Zeichenobjektes unentwegt diese Bezüge zu ziehen, wirst Du sehr viel leichter zu den richtigen Proportionen kommen.

Die Arbeitsschritte

So, nun schnappe Dir einen DinA3 Bogen, such Dir eines der Portraits aus und los geht’s! (Der lachende Mund ist wirklich schwierig!)

Schritt 1 Die Skizze

Wir fangen auch in dieser Woche wieder mit einer Bleistiftskizze an, allerdings in verschiedenen Etappen.

  • Zuerst eine grobe Orientierungsskizze, um insbesondere die Platzierung auf dem Blatt festzulegen und die ersten Formen anzudeuten.

  • Dann eine suchende Skizze, feine nicht enden wollende Linien, mit denen Du Dich immer mehr den richtigen Proportionen annäherst. Denke spätestens hier an die Bezüge (wie gerade erläutert!)

  • Eine Skizze mit guten, teilweise kraftvollen Linien, mit denen Du die tatsächliche Skizze noch einmal herausstellst. „Tatsächlich“ meint an dieser Stelle, sich bei all den Linien, die bereits da sind, für die zu entscheiden, die für Dich die richtigen oder am ehesten richtigen Proportionen zeigen.

Schritt 2 Alle Schwäerzen Schwarz

Nun nimm Dir ausreichend Zeit, einen weichen Bleistift, einen Cutter zum Nachspitzen des Bleistiftes und schraffiere alle dunklen Stellen wirklich schwarz, schwarz, schwarz.

Schritt 3 Der übergeordnete Bereich

Nun bestimme einen übergeordneten Bereich in Deiner Zeichnung, einen Bereich, den Du für wichtig erachtest und den Du gedanklich umrandest, um ihn einmal zu definieren. „Bereich“ bedeutet nicht, die Augen oder der Mund, sondern „Bereich“ schließt verschiedene Teile Deines Portraits ganz oder auch nur teilweise mit ein. Ich gebe Dir noch mal ein Beispiel aus einer der vorangegangenen Übungen. Lege einen Unterteller auf die von Dir bestimmte wichtige Stelle des Portraits. Alles, was dieser Unterteller bedeckt gehört zu diesem „Bereich“, egal, ob es nur ein Viertel Auge und ein Drittel Mund ist. Und genau das würde dann auch bearbeitet, nicht mehr.

Das ist nur ein Beispiel. Den Bereich, den Du als wichtig erachtest, bestimmst Du in Größe, Form und Platzierung natürlich immer selbst.

So und wenn Du Dich nun für einen Bereich entschieden hast, arbeite denselben noch einmal mit Bleistift über, etwas ausführlicher und detailfreudiger, bleibe aber unbedingt noch bei der Linie und Kontur, fange noch nicht an zu schraffieren.

Schritt 4 3 dezente farbestifte

In dem in Schritt 3 bestimmten Bereich modelliere das Gesicht mit 3 dezenten Farbstiften so genau heraus, wie Du es vermagst. Versuche sehr ins Detail zu gehen.

Schritt 5 Der monochrome hintergrund

Nun male den Hintergrund komplett und absolut flächig und glatt mit einer Farbe aus. Acrylfarbe, Gouache, Wasserfarbe, was immer Du auch gerade im Haus hast, kannst Du verwenden, lediglich glatt und flächig ist wichtig.

Wenn Du die Möglichkeit hast, Dir sogar eine Farbe auszusuchen, nimm eine intensive und extrem andere als die Deiner drei dezenten Farbstifte aus Schritt 4.

Achte darauf, dass Du im Konturbereich zur Zeichnung extrem pingelst und hypergenau arbeitest bezogen auf die Linien, die Du dort gezeichnet hast – seien sie auch noch so klein und winzig.

Schritt 6 Der Schwerpunkt

Arbeite den Schwerpunkt Deiner Zeichnung noch einmal etwas mit dem Bleistift nach!

Schritt 7 Die rote skizze

Nun skizziere das Gesicht noch einmal über, mit einem roten, gut angespitzten Farbstift, um der Zeichnung nochmal eine komplett andere Note zu verleihen, eine andere Wendung zu geben. Die Linien dieser Skizze werden teilweise sicherlich über die jetzige Zeichnung hinausgehen und die plakative Hintergrundfarbe mit einbeziehen.

Die Reflektionsfragen

Ein neues Thema, etwas mehr Experiment – wie ist es Dir ergangen? Hast Du Lust, die anderen drei Gesichter auch noch zu zeichnen? Lass uns zuvor aber einen kleinen Blick auf die Reflektionsfragen werfen.

  1. Hat sich Deine Portraitauswahl bestätigt oder hast Du das gewählte Gesicht falsch eingeschätzt? Wie bist Du mit den Proportionen klargekommen? Hat Dir die Annäherung an die Proportionen über die suchenden Linien geholfen? Oder würdest Du nächstes Mal eher direkt mit den richtigen Linien anfangen. Falls Du noch ein Portrait zeichnest, probiere im ersten Schritt auch gerne eine Variante aus.

  2. Was hat der letzte Schritt mit der Zeichnung gemacht? Wie deutlich ist er überhaupt erkennbar? Du kannst in jeder Zeichnung zwischendurch oder zum Schluss noch wesentliche Dinge ändern und einer Zeichnung noch einmal eine ganz andere Richtung geben.

  3. Was genau macht die Hintergrundfarbe mit der Zeichnung. Würdest Du in einer weiteren Zeichnung eine andere Farbe nehmen? Wenn ja welche und warum?

Genieße die Woche und freue Dich auf den nächsten Montag und die nächste Aufgabe. Sei herzlich gegrüßt – Stephan