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Stephan Geisler

lilien

das thema

Dieses Thema hat sich spontan ergeben. Ich hatte hier einen wunderbaren riesigen Lilienstrauß in meinem Atelier stehen, ein Überbleibsel von einem sehr inspirierenden Fotoshooting. Er erblühte in einer Pracht und mit einem so betörenden Duft. Und selbst als er zu welken begann, behielt er eine Ahnung von Eleganz und Pracht. Dieser unglaubliche Verwelkungszustand musste einfach Teil einer zeichnerischen Übung werden. Diese faszinierenden Motive suchen wir und manchmal finden sie uns.

Diese prägnante Form der welkenden Blüten, dieses Durcheinander an Blüten und Blättern sollte allerdings nicht der einzige Aspekt für unsere heutige Zeichnung sein, sondern zur selben Zeit sollte eine besondere Stimmung eine besondere Atmosphäre die zeichnerische Umsetzung bestimmen.

Zu diesem Zweck habe ich die Kontraste der Fotos verstärkt, die Dunkelheiten extremer gesetzt, aber auch die Lichter „angehoben“.

Dadurch ergibt sich eine komplett andere realistische Situation. In den Ursprungsfotos waren es vor allem die Formen der Blumen, Blüten und Blätter. Durch die Nachbearbeitung der Fotos gehen diese natürlich nicht verloren, das sollen sie auch gar nicht, aber die Sichtbarmachung von sehr dunklen und sehr hellen Bereichen wird massiv verstärkt, unabhängig von dem, was sie figürlich beschreiben. Teilweise laufen benachbarte Dunkelheiten verschiedener Blätter oder Gegenstände oder Hintergrundareale extrem zusammen und verbinden sich zu einer eigenwilligen, in der Form plötzlich sehr spezifischen graphischen neuen Form. Schaue Dir die Form der Dunkelheiten mal ganz bewusst unter diesem Aspekt an! Versuche diesen Zusammenhang in Deiner Zeichnung mit zu berücksichtigen. Es ist auch für zukünftige Zeichnungen ein wichtiger Aspekt. Wir sind in der Zeichnung so sehr darauf gedrillt, eine Form zu erfassen und auszuführen. Aber genau das sollte auf Dauer nur ein Teilaspekt sein und nicht der Hauptaspekt.

Suche Dir eines der beiliegenden Fotos aus und setze es komplett zeichnerisch nach den vorgegebenen Schritten um. DinA4 ist definitiv zu klein!!!!

die übung

Die Fotos bieten sich schon sehr an, seriell zu arbeiten. Wenn Du tatsächlich mehrere Zeichnungen machen möchtest, tausche von Zeichnung zu Zeichnung Schritte aus oder ergänze Deine Folge durch weitere Schritte. Und nun viel Spaß!

Schritt 1

Eine erste Lasur

Starte mit einer ersten Lasur in Blütenfarbe. Setze eher viele kleine rhythmische Flächen als eine große. Kleinteiligkeit, auch wenn sie nicht realistisch gemeint ist, unterstützt die Quirligkeit und die Vielfalt des Motivs ohne so viele realistische Details zeichnen zu müssen.

Schritt 2

Eine zweite Lasur

Mit einer zweiten Lasur verfahre ganz ähnlich. Arbeite entweder mit einem zweiten Blütenton oder einem zarten hellen Grün!

Schritt 3

Etwas dunkle Lasur

Wenn es nun darum geht, die ersten DUNKLEN Lasuren zu setzen, sollte das zwar wieder ähnlich passieren, wie bei den beiden anderen Lasuren, aber da wir hell und dunkel in dieser Übung doch sehr beachten wollen, ist es wichtig sich zu überlegen, welche auch größeren Bereiche definitiv hell bleiben sollen. In diesen Bereichen, es können auch größere Bereiche sein, sollte keine dunkle Lasur angewendet werden. Also ist in diesem Schritt etwas Vordenken notwendig.

Schritt 4

Eine 6B-Bleistiftskizze

Wenn die Lasuren getrocknet sind, kommt eine Skizze mit einem 6B-Bleistift. Und das soll keine Vorskizze sein, sondern eine richtig gute Skizze mit Deinem kompletten Linienpotential, dick, dünn, zart, akzentuiert, schnell und kontrolliert, aber wie gesagt, ohne Vorskizze, sondern direkt mit vollem Risiko und vollem Genuss. Nur kontrolliert ist in diesem Schritt viel viel viel zu wenig!

Schritt 5

Schwärzen

Jetzt kommen die wirklichen Schwärzen mit einem mittleren bis weichen Bleistift, so fest aufgedrückt, dass die Spuren wirklich wirklich dunkel werden. Es geht um keine mittlere Gräue. Da wo möglich, arbeite gerne gestisch, da wo Du Kontur und Definition brauchst, arbeite entsprechend kontrollierter.

Aber jetzt solltest Du Dich von den realistischen Formen gedanklich lösen. Denn da, wo Schatten zusammenlaufen und eine komplett neue Form bilden, solltest Du diese neue Form als solche tatsächlich schraffieren und nicht wieder den verschiedenen realistischen Teilbereichen zuordnen.

Schritt 6

Farbstiftschraffuren

Nun stelle Dir mit Farbstiften einen Farbakkord zusammen, der sich auf die realistischen Farben der Blüten bezieht, gerne auch sehr gedeckte Farben. 5-6 verschiedene Farbstifte können es gerne sein. Und nun arbeite einen übergeordneten Schwerpunkt heraus, also nicht einfach eine einzige Blüte. Das wäre eine zugeordnete Farbgebung. Sondern bestimme auf dem Foto ein kleines zusammenhängendes Areal, in dem Teile von ganz verschiedenen Blüten und Blättern und Hintergrundflächen hineinreichen. Dieses Areal führe mit Deinen Farbstiften durchaus differenziert aus. Nimm Dir Zeit, arbeite malerisch, auch in Schichten. Suche Dir dazu zwei eher kleine Bereiche als Korrespondenzpunkt aus in unterschiedlichen Distanzen zum Schwerpunkt, und bearbeite diese sehr kleinen Bereiche genauso wie den Schwerpunkt selbst.

Schritt 7

Ein Schwerpunkt mit Teilblüte

In diesem Schwerpunkt und in den beiden Korrespondenzpunkten arbeite zusätzlich mit einem harten Bleistift (H), um diese Bereiche noch mehr und auch zarter zu differenzieren. Lass Dir bei solchen Schritten immer Zeit, soviel Du brauchst!

Schritt 8

Verdichtung mit dem Bleistift

Nun verdichte Deine Zeichnung auch an anderen Stellen noch etwas mehr mit dem Bleistift. Ein HB sollte reichen, damit die Linien nicht zu plump werden und womöglich anfangen die Führung zu übernehmen.

Verteile diese Verdichtungen an mehreren kleinen Stellen Deiner Zeichnung, auch hier wieder um die Quirligkeit des Motivs noch einmal zu verstärken, aber lasse die Areale, die vorzugsweise hell bleiben sollen, eher frei!

Schritt 9

Die schwarze Tusche

Nun setze in einigen das Motiv angrenzenden Bereichen schwarze Tusche ein, eine schwarze Tusche, die auch nach dem Trocknen noch schwarz ist. An den Stellen, an denen das Schwarz an das Motiv herankommt, solltest Du sehr sehr exakt und genau arbeiten. Nach außen hin kann es freier werden und auch, aus den schon vorher mehrfach erwähnten Gründen, kleinteiliger. Umreiße mit dem Schwarz nicht das komplette Motiv, sondern arbeite an drei verschiedenen Hintergrundbereichen.

Schritt 10

Ein freier Schritt

Im letzten Schritt mache das, was Du glaubst machen zu müssen, um das Bild optimal abzuschließen.

Die Reflektionsfragen

Die heutige Übung war ziemlich komplex. Aber ist es nicht schön, immer mehr zu verstehen, dass Realität nicht immer nur und immer wieder mit der puren Definition der Form wiedergegeben werden muss? Aber wie bist Du klargekommen?

  1. Vermittelt Deine Zeichnung das Gefühl von Kleinteiligkeit? In der Hoffnung, dass jetzt ein „Ja“ kommt, versuche noch einmal zu rekapitulieren, woran das im Einzelnen liegt. Falls keine Kleinteiligkeit entstanden ist, was denkst Du, warum nicht?

  2. Wie sieht es mit der Farbigkeit aus? Zuviel? Zu wenig? Woran machst Du Deine Ansicht fest? Was würdest Du Dir durch mehr oder weniger Farbe erhoffen?

  3. Wie ist Deine risikovolle Skizze in Schritt 4 geworden? Hast Du die Qualität dieser Skizze im weiteren Verlauf der Übung aufrechterhalten können oder ist diese Skizze womöglich ganz verschwunden? Würde es Sinn machen nochmal ein paar Linien in dieser Qualität nachzulegen???

Bis zur nächsten Übung

Ganz herzliche Grüße – Stephan