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Stephan Geisler

Stillleben

Das Thema und die Fotos

Wenn man das Zeichnen mal unter rein didaktischen Gesichtspunkten betrachtet, dann merkt man schnell, dass es verschiedene Stellschrauben gibt, an denen wir drehen können, um in einer Aufgabe oder einem Kapitel die Anforderung in einem messbaren Rahmen zu halten. Zum Beispiel können wir den Hauptschwerpunkt auf die Schwierigkeit des Motivs legen. Stattdessen können wir uns auch auf die Technik konzentrieren und ebenso auf eine gelebte Emotionalität.

Wenn Du das dieswöchige Thema betrachtest, das mit seinem Titel „Stillleben“ fast ein wenig schnöde daherkommt, dann weißt Du sehr schnell, das Thema wird nicht die Schwierigkeit sein. Wenn Du Dir dann auch noch die Fotos betrachtest und das Gemüse und Obst siehst, weißt Du, bei diesem Thema geht es nicht so sehr um Genauigkeit. In welchen Proportionen wir Gemüse und Obst vorfinden ist nicht mit einem allgemeinen Verständnis gekoppelt.

Der Fokus in dieser Woche liegt auf 2 ganz andere Bereiche:

  1. Das Experiment

Wir arbeiten diese Woche mit experimentellen Untergründen. Das ist übrigens ein Aspekt, der wahnsinnig viel Spaß macht. Du solltest Dir auch später immer mal 2-3 Tage gönnen, um nur Untergründe vorzubereiten. Damit meine ich keine einfach zugeschmierten Blätter, sondern durchaus zarte und ausbalancierte Farbspielereien, die einen großen Teil der zeichnerischen Qualität eines Blattes ausmachen können.

  1. Die Freiheit der Linie

Die zweite Herausforderung wird ein eher emotionales Arbeiten sein, zwar orientiert an der Realität, trotzdem gezeichnet mit emotionalen, freien und formverlassenen Linien. Es ist am Ende alles eine Suche nach der richtigen Balance.

Drei Fotos für drei Zeichnungen bekommst Du mitgeliefert. Zwei weitere Stillleben-Fotos musst Du selbst „knipsen“.

Lebendigkeit und Experiment

Das Experiment in der Form, dass wir Untergründe schaffen und diese für bestimmte zeichnerische Ideen aussuchen, ist ein wunderbares universelles Verfahren. Wann immer Du Zeit hast, schaffe Dir Untergründe, genieße es auszuprobieren.

Nur an eine Sache solltest Du dabei immer denken.

Es sollen Untergründe sein und keine eigenständigen, fertig komponierten Bilder, die womöglich so dominant sind, dass man mit normalen zeichnerischen Mitteln nicht mehr dagegen ankommt. Hierfür muss man mittelfristig ein Gefühl entwickeln und umso mehr man hineinschnuppert, umso vielfältiger werden die Möglichkeiten.

Und wenn ein Blatt mal zu dominant wird, weiß sollte man immer dahaben, um den Untergrund wieder dezenter zu gestalten.

Das für die Zeichnung eigentlich spannende ist, dass so plötzlich Flächen und Strukturen im Bild sind, die nichts mit der Form des Motivs zu tun haben. Und wir wissen alle, wie schwer es ist, die Form dessen, was man zeichnet, zwischendurch auch einfach mal wieder zu verlassen!

Und dann kommt zusätzlich die Lebendigkeit der Linie ins Spiel. Auch hier lass mich kurz einen interessanten Zusammenhang erklären.

Zeichne ich zum ersten Mal einen aufgeschnittenen Kürbis, bin ich so sehr damit beschäftigt, die Form hinzubekommen, die Details zu verstehen und dann zu zeichnen, als dass ich im selben Moment auch noch eine emotionale Linie und zeichnerische Gestik ins Spiel bringen könnte. Umso öfter ich diesen Kürbis zeichne, umso mehr verstehe ich ihn, seine Formen, Schatten, Details und umso mehr kann ich mich dann auf die Qualität der Linie konzentrieren.

Da das Thema in dieser Lektion relativ einfach ist und es auf die richtigen Proportionen nicht so ankommt, können wir uns vielmehr auf die Qualität dieser Linien beziehen.

Und was genau ist diese Qualität? Worin begründet sie sich?

Es geht NICHT um eine kontrollierte, pragmatische, sachliche Linie, sondern es geht um Linien, die viele Variationen aufweisen. Zum einen Variationen in der Strichstärke von ganz zart, fragil und hingehaucht bis zu massiv, dunkel, schwarz, aggressiv.

Andere Variationen kann man im Tempo suchen. Es gibt die geführte und langsame Linie und es gibt die Linie, die so schnell und akzentuiert und damit so risikovoll ist, dass sie auch ganz schnell und ohne, dass man es erwartet, die Form verlässt und etwas ganz Eigenständiges macht. Und es gibt zwischen diesen Extremen Tausende von Spielarten. Aber ohne sich zu trauen, wird es nicht gehen. Ohne die Suche des Risikos, wird man die Kontrolle nicht verlassen.

Also trau Dich und genieße es!

5x Vorbereitung

Spanne Dir 5 Deiner Zeichenpapiere umlaufend mit Tesakrepp auf ein Brett oder ähnliches auf. Wähle möglichst ein glattes, nicht zu empfindliches Papier bzgl. Feuchtigkeit.

Wenn Du jetzt die ersten 5 Schritte machst, haben die nichts mit Deinen Fotos zu tun. Schaue die Fotos in diesen ersten 5 Schritten auch bitte gar nicht an.

Selbst wenn Du nur eine Zeichnung machen möchtest, fertige 5 Untergründe an. Die Auswahl des richtigen Untergrundes für Dein Motiv ist Teil des zeichnerischen Prozesses.

Schritt 1 Papier Aufspannen

Spanne, wie vorher beschrieben, Deine Blätter umlaufend mit Tesakrepp auf! Beim Trocknen kann sich das Papier dadurch immer wieder einigermaßen in die Form ziehen und schlägt nicht so viele Wellen. Wichtig ist, dass Du jeden „nassen“ Schritt trocknen lässt, bevor Du weitermachst.

Schritt 2 Löslicher Kaffee

Falls Du keinen löslichen Kaffee hast, den kriegst Du auch an der Tankstelle oder im Kiosk nebenan. Nimm den billigsten, den Du kriegen kannst. Kaffee „macht“ einen schönen Farbton und schlägt durch nachfolgende Schichten immer mal wieder durch und schafft dadurch schöne Strukturen.

Rühre den Kaffee an im Verhältnis 1:1. Setze mit einem breiten Pinsel Flächen und Spuren, gestisch und gezielt. Es gibt keine Vorgabe. Arbeite im Liegen, lass den Kaffee auch mal etwas fetter stehen und ihn anschließend in Ruhe trocknen.

Schritt 3 Weisse Grundierung

Nun arbeite mit einer weißen Grundierung. Vielleicht hast Du auch noch weiße Wandfarbe im Keller o.ä. Bearbeite Deine Blätter ebenso zu 50-60%, durchaus auch über einen Großteil des Kaffees.

Die Farbe sollte ganz glatt sein, damit wir hinterher darauf auch zeichnen können. Ggf. wisch die Farbe mit einem Zewa auch wieder herunter. Aber auch das Wischen kannst Du so ausführen, dass Du nicht nur wegwischst, sondern gestaltest. Siehe es als künstlerischen Schritt.

Schritt 4 Eine leuchtende Farbe

Nun arbeite mit einer leuchtenden Lasur (Farbe oder Tusche oder Tinte mit Wasser). Am einfachsten ist es, Du nimmst Tusche oder Tinte, verdünnst sie großzügig mit Wasser und trägst sie gestisch (also mit Kraft und Power) und flächig auf. Bearbeite jedes Blatt mit extremem Tempo, so dass auch Spritzspuren entstehen können und beziehe 30-50% der jeweiligen Papierfläche in diesen Prozess mit ein.

Schritt 5 Eine dezente Farbe

Dasselbe mache jetzt noch einmal mit einer dezenten Farbe.

(Schritt 6 Weiss)

Falls Du das Gefühl hast, die Blätter sind für eine nachträgliche Zeichnung zu farbig geworden, arbeite noch einmal mit einer weißen Lasur in einem Anteil nach eigenem Ermessen. Wenn jetzt alles gut durchgetrocknet ist, kommt die Zeichnung.

5x Zeichnung

Erst jetzt bringst Du die Stillleben-Fotos in den Prozess mit ein. Darum geht es auch direkt im ersten Schritt.

Schritt 1 Papier und Motiv

Zwar sind die Untergründe losgelöst vom Motiv entstanden, aber das heißt natürlich nicht, dass sie deshalb austauschbar sind. Im Gegenteil, jetzt geht es darum, genau zu überlegen, welches Deiner 5 experimentellen Blätter zu Deinem ersten Motiv passt und wie Du Dein Motiv auf diesem Blatt plazieren möchtest. Diese beiden Überlegungen sind extrem ausschlaggebend für die Qualität der Zeichnung. Nimm Dir also die Zeit, die Du brauchst, um Dich zu entscheiden.

Schritt 2 Die wilde Zeichnung

Jetzt geht es um die Zeichnung. Arbeite mit einem 7B-Bleistift. Spitze ihn immer wieder mit dem Cutter an. Mach zuerst ein paar Tests auf einem leeren Bogen Papier. Versuche ganz zarte und fragile Linien zu machen und extrem massive und dunkle. Arbeite langsam, arbeite schnell und akzentuiert.

Es geht darum in genau dieser Bandbreite zu zeichnen, ohne Vorskizze, sondern direkt mit vollem Risiko. Zur Not (auch nur dann!) gibt es noch das Radiergummi oder weiße Farbe.

Hier muss man aber auch lernen, dass auch die ungewollten Linien am Ende den Charakter der Zeichnung ausmachen. Wir brauchen auch die Linien, die „nicht stimmen“.

Eine Linie ist nicht falsch oder unpassend, weil sie eine Form nicht richtig definiert!!!!!

Arbeite in diesem Schritt ausschließlich mit Linien, keine Schraffuren, keine Flächen.

Schritt 3 Das wilde detail

Arbeite nun mit einem HB oder B oder 2B Bleistift und mache dasselbe noch einmal, aber im Kleinen, im Detail, erarbeite die Bereiche, wo es um Kleinigkeiten geht. Diese Bereiche bekommen aufgrund einer größeren Liniendichte schnell einen Schwerpunktcharakter.

Die Bleistiftstärke musst Du in den ersten beiden Schritten ggf. Deinen Untergründen anpassen. Manchmal entsteht über die Untergründe ein stärkerer Abrieb beim Bleistift. In dem Fall können die Bleistifte auch etwas härter gewählt werden.

Schritt 4 Die dunkle Lasur

Die kleinen dunklen Flächen Deines Motives setze nun mit einem Aquarell oder Tuschpinsel genauso akzentuiert, Verwende eine dunkle Tusche, aber kein Schwarz und ggf. auch etwas wässrig, damit diese Bereiche nicht direkt die kompositorische Führung übernehmen.

Schritt 5 Die farbige Lasur

Nun setze noch einmal eine farbige Lasur sowohl mit einem breiten als auch mit einem Aquarellpinsel. Dieser Schritt ist noch einmal etwas tricky, denn Du kannst diese Farbe aus zweierlei Blickpunkt einsetzen. Zum einen motivbezogen, zum anderen bezogen auf Deine Komposition. Im zweiten Fall kann der Einsatz der Farbe genauso frei und unabhängig sein wie bei der Vorbereitung der Untergründe. Sei mutig!

Übrigens statt mit dem Bleistift in den Schritten 2 und 3 könntest Du auch mit der Rohrfeder und Tusche arbeiten.

Die Reflektionsfragen

Dieses Mal ging es um eine etwas andere Form eines zeichnerischen Prozesses. Ich hoffe, es hat Dir neben der Herausforderung auch Spaß gemacht.

  1. Wie fandst Du es, die Hintergründe anzufertigen und wie sind sie mit Deinen Zeichnungen übereingekommen? Hast Du das Gefühl, sie hätten dezenter sein können oder waren sie genau richtig? Probiere mit Untergründen parallel immer viel herum. Es ist eine so schöne Kombination mit klassischer Zeichnung.

  2. Wie hat die Zeichnung selbst geklappt? Diese Form der Zeichnung ist für die meisten etwas ungewohnt, aber ich kann nur jedem empfehlen, immer wieder auch mit Risiko und Schnelligkeit zu arbeiten. Umso mehr kommt man in diese Form der Zeichnung hinein, umso mehr macht sie Spaß und umso mehr begreift man, was für eine Qualität dadurch in eine Zeichnung kommt.

  3. Inwieweit haben Deine beiden eigenen Fotos geklappt? Haben sich die Motive für Dich bestätigt oder waren sie schwerer oder leichter? Und warum?

So wie es dieses Mal für viele sicherlich ungewohnt war, so wird auch der pure Bleistift mal wieder eine Rolle spielen. Jede Woche ein neuer Schwerpunkt, jede Woche ein neues Thema und immer wieder ein wunderbares Training. Freue Dich auf die nächste Woche, wenn es mit der nächsten Zeichenaufgabe weitergeht, Dir eine schöne Zeit, bis bald – Stephan

P.S. Wenn Du magst, mach gerne Freunde und Bekannte auf diese Möglichkeit aufmerksam.